KLAUS KEHRWALD

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Im Feuer der Farben
Bemerkungen zum Werk von Klaus Kehrwald
von Stephan von Wiese

Klaus Kehrwalds malerisches Werk durchleuchtet die Welt. Parallel wird an ungewöhnlichen ikonographischen Themen gearbeitet und werden gleichzeitig in ständiger mentaler und emotionaler Bewegung unterschiedliche stilistische Mittel erprobt und bildmächtig entfaltet. Auf komplexe Weise durchdringen sich Bildserien aus der Innen- und aus der Außenwelt. Zwar hat der frühe Tod diesen Bildfluß jäh beendet, der gewichtige und umfangreiche künstlerische Nachlaß ist aber nicht etwa Fragment, sondern zeigt ein in sich geschlossenes Werk, das sich in viele verschlungene Haupt- und Nebenwege entfaltet, die zuweilen ornamental beginnen, aber dann in weite Tiefen führen.

Schon früh war der Entwurf zum Werk gelegt: „In den Bildern von Kehrwald verwest, versengt, verbrennt die Welt. Im Schein des Feuers der abbrennenden Lichter erglänzt die Welt, leuchtet die Farbe. So wie [in frühen Zeichnungen] die Augäpfel an den brennenden Türmen der Kathedrale hochgreifen – als wäre Wahrnehmung selbst eine Flamme – so wird das Gehirn zum bergenden Schatzhaus“, begann ich 1990 einen kurzen Text zur Ausstellung Treibhaus 5. Dieser künstlerische Grundakkord blieb – mit Varianten und Erweiterungen –bestehen.

Bei Treibhaus 5 hingen seinerzeit Kehrwalds Gemälde von Kronleuchtern und von Gehirnen als Leitmotive nebeneinander. Die Bilder waren aus dem Dunkel ins Helle gemalt. Auch das Architekturthema – so wählte der Künstler als einen seiner Katalogbeiträge die Reproduktion einer seiner damaligen Kathedralen-Zeichnungen – klang schon an: Der organische Körper wie die filigrane Kirche waren gleichermaßen Bau mit vielen Aushöhlungen und Buchten, imaginär und gedanklich schwer zu durchdringende, geheimnisvolle, kristalline oder organische Gebilde. Mikrokosmos, Makrokosmos, Innen- und Außenwelt, oft bildhaft vermittelt durch Fotos in Fachzeitschriften, blieben seitdem im Fokus des Werks. Hinzu kamen zum Beispiel merkwürdig verpuppte Formen und irreal erscheinende Interieurs, wo ganze Wohnungseinrichtungen mit knappen skurrilen Strichen in die ornamentalen Gehirnlappenfalten platziert sind. Licht und Farbe können dabei mehr und mehr erlöschen oder flackern plötzlich auf.

Zahlreiche Bilder haben nahezu monochromen Charakter: insbesondere das gluthafte Rot und das sich ins bis ins Dunkel steigernde Violett heben sich hervor. Bei der 1996 einsetzenden Brain Game-Serie wird das blutrote Hirn zum verschlungenen Bau, zu einem Farbklumpen mit vielen Höhlen, Vertiefungen, Verknorpelungen, Augen. Diese organischen Körper entziehen sich jeder Erklärbarkeit, der Gegensatz zwischen „abstrakt“ und „biomorph“ hebt sich auf: Die Realität wird abstrakt, die Abstraktion gewinnt eine morphologische Dimension.

Parallel dazu wurde das Architektur-Thema ständig weitergeführt: Der Rote Turm von 2003 ist ebenso wie The Brain Game in sich verklüftet, ist ein malerisches Korallenriff, inspiriert etwa von den Phantasmen der gotischen Baumeister, an die auch die Kathedralengitter, häufig in prekäre Balancen gebracht, erinnern: Malerei – Bau – Körper – Licht sind in ständiger Interaktion. Ein breites Assoziationsfeld öffnet sich. Davon wird auch die Landschaft ergriffen wie bei dem Großformat Landschaft (Friedhof II) von 2005/06: Bei diesem Nachbild werden die säulenhaften Zypressen rings um die Friedhofsmauer zu Farblichtwerfern, die Erde des Friedhofs ist durch ein magisches Orange illuminiert, durch die Leuchtkraft der Farbe wird die ewige Nacht malerisch erhellt.

Neben den Bildern aus dem Dunkel oder im fahlen blauvioletten Zwielicht - wie Stahlwerk, 2002 – stehen Bilder voll kontrastreicher Farbschübe – sonderbare Landschaften aus Lebensmitteln, skurrile Leuchter, bei denen die brennenden Wachskerzen in verschlungene Organismen gesetzt sind, hier wird das Eingeweide malerisch ausgeweidet (Interieur de Luxe, 1999/2004). Diese groteske Seite im Werk entfaltet sich insbesondere auch in der Serie der Blumenbilder, die lanzetthaften Pflanzen erscheinen einerseits wie skulpturale Stelen, andererseits wie verwachsene Körper, man assoziiert Blumen des Bösen, um einen Baudelaire-Titel aufzugreifen: Diese Organismen entfalten eine hohe Aggressivität. Mit dieser Bildserie hat sich Klaus Kehrwald in seinen letzten beiden Lebensjahren insbesondere zeichnerisch auseinandergesetzt.

© 2012 Stephan von Wiese

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