KLAUS KEHRWALD

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KLAUS KEHRWALD (1959 – 2009)
At Home. Not at Home
von Rolf Hengesbach

16. Juni bis 20. August 2010 bei ANNA KLINKHAMMER GALERIE, Düsseldorf

Klaus Kehrwald malte Interieurs, Gebäude, Blumenstillleben, Landschaften, Porträts. Er bediente sich dieser historischen Malereigattungen, weil ihn die Frage nach dem Fortbestehen, der Wertigkeit und der Identität unserer jeweiligen geschichtlichen Herkunft interessierte.

Was für jeden seine generationsspezifische und persönliche Färbung haben mag, in Kehrwalds Bildern steht diese Problematik in einem übergeordneten Zusammenhang: wie können wir Bestandstücke deutscher Vergangenheit in unsere Gegenwart aufnehmen, ohne dass sie als bloße Relikte erscheinen, wie können wir unsere Zweifel am Wert dieser Kultur genährt durch die Auswirkungen des Nationalsozialismus artikulieren ohne in eine neutralisierende Distanz einzutauchen?

Kehrwalds Bildmotive beziehen sich auf die äußere Welt. Er malt diese aber auf eine Weise, dass sie nicht entsteht als eine Welt der sichtbaren Distanzen, der Verschiedenheiten und Trennungen der Dinge oder als eine der robusten Stabilität. In seinen Bildern gibt es kein natürliches Licht, keinen natürlichen Kontext, keine natürliche Farbigkeit, keine feste Struktur der Dinge, keine Orientierung an den Grundkoordinaten Horizontalität bzw. Vertikalität. Bei vielen seiner Bilder quellen die einzelnen Bestandteile aus einem dunklen, schwarzbraunen Bildgrund hervor. Der natürliche Kontrast von Weiß und Schwarz, von Himmel und Erde kommt nicht vor. Es gibt nur einen Unterschied von warmen und kalten Tönen, die aus Schwarz als ihrer Basis hervorgehen. Als Pole stehen sich Braun und Violett gegenüber, aus denen die Differenzen in Kehrwalds Bildwelten erwachsen. Wohnräume haben keine Fenster, sie werden nur von einer schwachen Glühbirne beleuchtet. Die Landschaften sind in eine Nachtdunkelheit getaucht. Aus dem braunviolett changierenden Bildgrund tauchen Gebäude, vielfach Kirchen unvermittelt auf, sie scheinen in ihr eigenes Licht gehüllt. Die Bildmotive haben häufig die weiche Dehn- und Komprimierbarkeit und das Fluktuierende von Körperorganen. Überhaupt scheint der menschliche Körper der einzig legitime Ort zu sein, der den Bildgegenständen der äußeren Welt noch eine Berechtigung zuweist. Eine gotische Kathedrale besitzt ihre architektonische Imposanz und ihre kulturelle Bedeutung nur noch in ihrer Transformation zu einem räumlichen Gewebe aus rötlichen Adern und organhaften Vertiefungen. Von den mannigfachen Bedeutungsschichten der Tradition bleibt gültig nur das, was im organhaften Fühlen des eigenen Körpers sich bemerkbar machen kann. In den Innenräumen markieren die Weichheiten von Stühlen, Sesseln oder Sofas Anwesenheiten, aber nicht, um auf ihnen Platz zu nehmen, sondern um in ihrem organhaften Ausgreifen den Raum mit einer vagen Hoffnung auf Leben zu erfüllen.

Kehrwalds Malwelten sind dunkel und elementar. Das Formleben taucht aus braun-schwarzer Schlacke auf, windet sich in andere Töne und kehrt doch in diese Grundstimmung zurück. Dieser gegenwendige Prozess ist malerisch durchgearbeitet: Das verschlungene Gewebe der Stützpfeiler einer gotischen Kathedrale rankt sich empor und löst sich gleichzeitig in seiner räumlichen Tiefenschicht im Malgrund auf. Die Elemente einer Wohnzimmergarnitur reihen sich nebeneinander, bilden einen ornamentalen Untergrund, aus dem als Wucherungen schwarze Stängel von Pflanzen oder Kantenlinien eines kirchlichen Versammlungsortes erwachsen. Die scheinbar barocken Wandpanelen eines Raumes öffnen sich und lassen Möbel wie Organe hervorquellen. Der Pinsel setzt Schicht auf Schicht, um das Motiv mit dem Malgrund und seinem Umfeld zu verweben. In seinen Ausgreifbewegungen ist die Existentialität des Malers spürbar, der in einer untergehenden Welt sich deren Überbleibseln vergewissert.

Kehrwalds Bildgründe haben häufig eine hervorstechende Taktilität. Er benutzte derbe Leinwand, Sackleinen oder Ornamentstoffe. In diese versinkt und versackt die Farbigkeit wie in einen matten Schlund. Der Malgrund artikuliert das Verschwinden oder den Verfall einer amorphen Materialität, aus dem der Maler die zerfallene Schönheit als seine sinnliche Selbsterfahrung herauswand und ihre Prächtigkeit als eine fahle Erinnerung aufscheinen lässt.

In Kehrwalds Bildern gibt es Motive, sie zentrieren aber nicht das Bild. Denn ihre Gebilde haben keinen Ursprung, keinen natürlichen Kontext und auch keinen Abschluss. Sie sind mit einer Unbestimmtheit behaftet, die davon rührt, dass den Motiven keine verlässlichen Bedeutungen zugeordnet werden können. Malerisch artikulierte Kehrwald dies im Changieren der Farbe, in der Betonung des einsamen, verletzlichen Pinselstriches, der sich in Geweben von einsamen Linien verliert, in denen keine die andere dominiert.

Indem Kehrwald den Malgrund mit der gemalten Form verwob oder eine Binnenform in einen leeren, bauchigen Raum ausgreifen ließ, verschob er das Verhältnis von Bildraum und Betrachterraum. Die gemalte Form wird in ihrer malerischen Beschaffenheit nie auf eine Weise dinglich so konkret, dass sie uns etwas erzählt. Sie ist instabil, ohne Zentrum, ohne Licht auf Zukunft. Sie atmet die Verdrängungen, die hinter ihr stehen. Wenn es überhaupt etwas gibt, womit sich der Betrachter im Bild identifizieren kann, dann ist es nicht das gegenständliche Gegenüber der Form, sondern die Weise der Auflösung der Form im malerischen Vortrag. Die Weichheit des Anschwellens und Abschwellens, das Fluktuierende der Farbe macht im Sehen als letzte Instanz die eigene Fleischlichkeit bewusst. Die Bildwelt wird zur taktilen Berührungsfläche und damit zum Erfahrungsraum von Einsamkeit.

© 2010 Rolf Hengesbach

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